Trotz über 30 Grad fanden zahlreiche Gäste wieder einmal den Weg ins Ogawa zu unserem Monatstreff im Juli. Herr Jörg Ebenschwanger hielt für uns einen äußerst interessanten Vortrag über ein japanisches Sommerphänomen: da Gänsehaut in Japan auch die Sommerhitze kühlt bekamen wir einen sehr amüsanten und unterhaltsamen Vortrag über „Yôkai – Ein Streifzug durch Japans ‚gespenstische‘ Geschichte“ zu hören. Und in der Tat, mit allerlei Kobolden, wandelnden Regenschirmen, Gespenstern aus Schriftrollen oder moderneren Mitteln der Kommunikation (Handy), Yôkaibier oder -toilettenpapier war die Hitze schnell vergessen.
Ein paar Eindrücke vom Vortrag:
Herr Ebenschwanger hat uns freundlicherweise noch eine Zusammenfassung seines Vortrags zur Verfügung gestellt, die wir Euch natürlich nicht vorenthalten wollen:
J. Ebenschwanger „Yôkai – Ein Streifzug durch Japans ‚gespenstische‘ Geschichte“
Im Japanischen werden diverse merkwürdige Gestalten mit dem Begriff yôkai bezeichnet. Leider existiert keine adäquate deutsche Übersetzung für diesen Begriff, yôkai ist nämlich der Überbegriff für alle „merkwürdigen Gestalten“.
Ein entsprechender Überbegriff findet sich bei uns nicht wirklich. Auch wenn in älterer deutschsprachiger Literatur zu diesem Thema das yôkai oft mit „Gespenster“ oder „Dämonen“ übersetzt wurde, so sind mit diesen Bezeichnungen doch ziemlich genaue Vorstellungen verbunden.
Natürlich gibt’s in Japan auch speziellere Begriffe, um einzelne Gestalten zu beschreiben. So zum Beispiel die yûrei, auf die später noch eingegangen wird.
Was sollen wir uns also unter yôkai vorstellen? Allen yôkai gemein ist, dass sie in irgendeiner Form anders, merkwürdig sind. Sei es ein besonders seltsames Aussehen, dass sie lebendig gewordene Gegenständen sind oder dass uns der bloße Anblick bereits zum Schaudern bringt.
Anhand eines kurzen Film-Ausschnitts aus dem Film Yôkaidaisensô, der in Deutschland 2005 unter dem Titel „Der Krieg der Dämonen“ aufgeführt wurde, wird ein kurzen Überblick über die moderne Wiedergabe japanischer yôkai gewonnen, bevor wir uns auf einen kurzen Streifzug durch die Entwicklung der yôkai in Japans Geschichte begeben und uns so ein eigenes Bild von den mit yôkai verbundenen Vorstellungen machen.
Bereits seit Beginn der Menschheit sind auch yôkai in Japan beheimatet. Denn mit dem Beginn des Denkens haben die Menschen hinter unerklärlichen Phänomenen die Aktivität mysteriöser Kräfte vermutet. Wie diese genau ausgesehen haben ist nicht näher bekannt, erste ausführliche Beschreibungen dieser mysteriöser Kräfte finden sich aber bereits in den ersten literarischen Werken Japans.
So tauchen beispielsweise im Kojiki und Nihonshoki bereits Erzählungen über die achtköpfige und achtschwänzige Yamata no orochi auf. Jährlich holt sich diese Schlange eine der Töchter eines älteren Ehepaares – von 8 ist nur noch eine Tochter übrig. Als die Gottheit Susanoo auf das Ehepaar trifft, versprechen diese Susanoo diese letzte Tochter für seine Hilfe. Er erschlägt Yamata no orochi und findet dabei in einem ihrer 8 Schwänze das Tsurugi-Schwert, also eine der drei Reichsinsignien.
Dies ist nicht die einzige yôkai-Legende in den Reichsannalen und für die Entstehung von so mancher Anekdote werden für die Menschen der Zeit unerklärliche Geschehnissen wie Hochwasser, Erdbeben und andere Naturkatastrophen, sowie Krankheiten und Epidemien verantwortlich gemacht.
Diese gefürchteten Ereignisse führten zur Bildung von verschiedensten Gestalten, die dann z.T. als Gottheiten verehrt oder mit Hilfe von magischen Beschwörungen eingesperrt wurden um sich in Zukunft vor derartigen Geschehnissen zu schützen.
Wie das in der Heian-Zeit (794-1185) vonstatten ging, zeigt beispielsweise der Film Onmyôji des Jahres 2001. Die als onmyôji bezeichneten Priester bedienten sich taoistischer und anderer mystischer Methoden, unter anderem, um die yôkai der Zeit unter Kontrolle zu bringen.
Dieser Film ging aus einem wahren Boom des Interesses an den onmyôji und an der Hauptrolle, dem Priester namens Abe no Seimei, hervor. Und wie uns Legenden zu Abe no Seimei erklären, soll er der Sohn aus der Beziehung eines Adeligen zu einem Fuchsgeist sein – was seine den anderen onmyôji überlegenen Kräfte erklärt.
Zu dieser Zeit trieben bereist diverse yôkai in der Hauptstadt Heian – dem heutigen Kyôto – ihr Unwesen. Von einer ganzen Prozession verschiedener mysteriöser und gefährlicher Gestalten, erzählt uns ein ganzes Bildrollen-Genre. Es ist ab der Muromachi-Zeit (1392~1572) aufgekommen. Durch die Geschichte hindurch ändern sich die auftretenden Figuren, aber insbesondere anfangs waren die dargestellten yôkai Gegenstände, die nach 100 Jahren eine Art Seele entwickelt hatten und zum Leben erwacht waren.
Es hieß, Menschen, die dieser Prozession begegneten, würden von einem schrecklichen Fluch getroffen, der meist mit ihrem Tod ende. Nur durch das Mitführen eines Amuletts oder durch Sutren-Rezitation könnte ein solches Unglück abgewendet werden. So wird beispielsweise in dem Werk Ôkagami geschildert, wie der Minister Morosuke (908-960) eines Nachts an einer Kreuzung auf die Prozession der hundert Dämonen trifft. Er ruft seine Dienerschaft herbei und lässt sie dicht um seinen Wagen stehen, während er ein Schutz-Sutra rezitiert. So vergeht etwa eine Stunde, bis die Gefahr vorüber ist und er seinen Weg fortsetzen kann. Interessanterweise scheinen die yôkai demnach nur eine Gefahr für den Adeligen bedeutet zu haben, während seine Dienerschaft die Prozession nicht einmal bemerkt hatte.
Natürlich gibt es aber auch zu der Zeit eine Unmenge an Legenden und Geschichten in denen Nicht-adelige yôkai begegnen. Nur war die künstlerische Darstellung derselbigen noch nicht so verbreitet. Dies änderte sich schlagartig mit dem Einsetzen der Edo-Zeit (1603-1868). Nun war es die Bürgerschicht, die erstmalig die Möglichkeit bekam, an Kunst und Kultur mitzuwirken. Dementsprechend blühte
die Bürgerkultur auf und es entstand eine Masse an Kunstwerken, Theaterstücken und Literatur fürs Volk, die die Interessen des Volkes aufgriff und damit auch den yôkai einen wahren Boom bescherten.
Die Medien, in denen yôkai nun auftauchten, reichten von Glücksbringern über Spiele bis hin zu richtiggehend angsteinflößenden Bildern. So beispielsweise die ukiyoe-Drucke, die Kohada Koheiji zeigen: Dieser war Schauspieler von geringem Talent und ohne Erfolg. Daher trat er nicht in den großen Kabukitheatern Edos auf, sondern war in Wanderschauspieltruppen in der Provinz aktiv. Er soll wirklich unbegabt gewesen sein, nur in einem den anderen Schauspielern in nichts nachgestanden haben: in der Darstellung von yôkai.
Ähnlich wie in der Gegenwart war in der Edo-Zeit also für jedes Interesse etwas dabei. Und die Beliebtheit der yôkai-Darstellungen hat bis in die Gegenwart angehalten. Wohl das berühmteste Beispiel für einen erfolgreichen Künstler, der sich in der Gegenwart dem yôkai-Genre widmet ist Mizuki Shigeru. Mizukis Heimatstadt Sakai Minato hat sich zu einem richtigen Pilgerort für Familien entwickelt, in denen nicht nur die Kinder mit Begeisterung Fotos von sich mit den Bronzefiguren schießen lassen, die nach Mizukis Vorlagen angefertigt wurden. Denn viele der Eltern sind bereits mit Mizukis Anime und Manga großgeworden. Mizuki Shigerus Werke in Manga-, Buch-, Anime- und Filmform überschwemmen gerade den japanischen Markt. Wenn Sie nur in einem Combini einkaufen gehen, können Sie auch die Merchandise-Produkte kaum übersehen.
Aber auch wenn es manchmal im ersten Augenblick nicht besonders auffällig erscheint, können in einer Vielzahl der Fälle die dargestellten yôkai auf altbekannte Vorstellungen zurückgeführt werden.
Zuletzt soll noch auf die Untergruppe yûrei eingegangen werden, da diese unserer Gespenstervorstellung am Ähnlichsten sind. Yûrei wurde zu Lebzeiten Unrecht getan und so können sie nicht von selbst zur Erlösung kommen sondern suchen als Rachegeister die Hinterbliebenen heim.
Seit der heute wohl berühmtesten yûrei-Darstellung durch Maruyama Okyo ist einige Zeit vergangen, doch die Ähnlichkeit mit modernen yûrei-Darstellungen ist unübersehbar. Gerade aus Film und Fernsehen dürfte das Bild der yûrei vermutlich vielen von Ihnen bekannt sein. Denn sie fand über das Genre japanischer Horrorfilme wie dem 1998 herausgekommenen Film „Ring“ ihren Weg auch in unsere Kinos.